Begehrt, bewundert, beschrieben – Kurtisanen im Spiegel männlicher Feder
- Mina
- 24. Juni
- 2 Min. Lesezeit

Ich las viele Werke großer Männer. Philosophen, Poeten, Hedonisten, Moralisten. Und eines habe ich gelernt: Wenn sie über Kurtisanen schreiben, dann schreiben sie selten nur über Frauen. Sie schreiben über ihre eigene Sehnsucht. Über Angst. Über das Unfassbare an einer Frau, die sich Männern hingibt – und dennoch unnahbar bleibt.
Und so lese ich ihre Worte nicht wie Beweise. Ich lese sie wie Gedichte. Wie heimliche Beichten.
Jean-Jacques Rousseau, der Aufklärer, war tief erschüttert von jeder Frau, die sich dem Liebesspiel mit Leichtigkeit näherte. In Julie ou la Nouvelle Héloïse warnt er: „Die Frau, die sich dem Vergnügen hingibt, verliert ihre Natur.“
Doch hinter seiner Entrüstung steckt Neid. Denn was ihn wirklich erschreckte, war eine Frau, die mehr wusste über Lust als er selbst – und dabei nicht zerbrach, sondern blühte. Rousseau war ein Idealist. Und Idealisten neigen dazu, Frauen zu vergöttern oder zu verdammen – aber niemals wirklich zu verstehen.
Ganz anders Giacomo Casanova. Er schrieb über Kurtisanen mit einer Mischung aus Respekt, Begehrlichkeit und gelegentlicher Demut.
„Sie wusste, wie man ein Gespräch führt, wie man eine Seele öffnet, wie man einen Mann vergessen lässt, wer er ist.“
Casanova sah in Kurtisanen keine Gefahr, sondern Herausforderung. Er begegnete ihnen nicht als Eroberer – sondern als jemand, der bereit war, sich selbst zu verlieren, um eine neue Version von sich zu entdecken. Das war seine Schwäche. Und zugleich seine Größe.
Honoré de Balzac den ich vergöttere seit meiner ersten Begegnung mit seiner Kunst, war klüger als viele seiner Zeit. Er sah in Kurtisanen ein gesellschaftliches Phänomen – nicht bloß eine Figur der Lust. In seinem Roman Splendeurs et misères des courtisanes analysiert er sie mit fast forensischer Genauigkeit.
„Die Kurtisane ist keine Frau im üblichen Sinne. Sie ist eine Funktion. Eine soziale Notwendigkeit, die sich der Moral entzieht.“
Balzac wusste: Männer suchen bei Kurtisanen nicht nur die Nähe ihrer Körper. Sie suchen das, was ihnen die Ehe nicht geben will: Bewunderung ohne Verpflichtung. Nähe ohne Alltag. Spiegelung ihrer Wünsche ohne Urteil.
Was steckte aber wirklich hinter ihren Aussagen?
Ob Rousseau, Casanova oder Balzac – sie alle schrieben über Kurtisanen, weil sie etwas in ihnen spürten, das ihnen selbst fremd war:
Freiheit! Kontrolle über das eigene Begehren. Die Fähigkeit, zu geben – und gleichzeitig sich selbst zu behalten.
Sie bewunderten uns. Fürchteten uns.Und manchmal – ganz selten – verstanden sie uns.
Auch heute schreiben Männer über Frauen wie mich. In Kolumnen, Foren, Podcasts.
Sie suchen Worte für etwas, das sich der Sprache oft entzieht: Eine Begegnung, die nicht an Besitz gebunden ist. Eine Frau, die nicht genommen werden kann – nur eingeladen.
Vielleicht lesen sie nie Rousseau oder Balzac. Aber vielleicht spüren sie genau das Gleiche.
Und vielleicht ahnen sie, dass Kurtisanen – damals wie heute – nicht Objekte der Begierde sind, sondern Priesterinnen einer sehr alten, sehr stillen Macht. Der Selbstbestimmung!
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